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Willkommen, kleiner Buddha!

Autorenbild: Sudhir SeybothSudhir Seyboth

Aktualisiert: 28. Nov. 2024

Mensch Männer, wacht auf! Kinder sind klasse. Karrieren sind vergleichsweise oft inhaltsleer.

Oshotimes Artikel von Sudhir. 06/13

Exkurse in die Vaterschaft


Sudhir und sein Sohn: „Ich durchlief sämtliche modernen Vaterrollen … Aber braucht ein Kind wirklich seinen Vater?



Er war völlig still, gleich nach seiner Geburt. Mit seinen dunkelblauen Augen, bodenlos tief wie das weite Meer, schaute er mich unentwegt an. Und da war noch kein Sohn, welcher seinen Vater anschaute; nur eine unglaubliche Präsenz. Es war dunkel im Raum und wir waren alleine. Die Schwestern hatte ich weggeschickt und seine Mutter musste noch mal in den OP. So verbrachte er seine erste Lebensstunde nackt und verletzlich an der entblößten Brust seines Vaters. Auch ich wurde ganz still. Meine innere Zerrissenheit war geheilt. Meine Zweifel über die Vereinbarkeit von Spiritualität und Vaterschaft verflogen. Und zum ersten Mal verstand ich Oshos Worte, welche ich in Primärgruppen schon hundertmal vorgespielt hatte: „Das Kind kommt mit einem unglaublichen Duft zur Welt; unermesslich, undefinierbar, unbenennbar … Das Kind ist bewusst, aber ohne Gedanken. Dies ist sein ursprüngliches Gesicht …“

Nur drei Worte brachte ich, in dieser unermesslichen Stille, über meine Lippen: „Willkommen, kleiner Buddha!“

Was hilft, ein guter Vater zu werden?


Diese Begegnung mit einem kleinen Buddha, welcher erst noch zum Mann heranwachsen sollte, würde mein Leben völlig verändern. Genau so, wie damals die Begegnung mit einem Buddha, welcher das Mannsein transzendiert hatte – was bedeutet: Er war weder Mann noch Frau und gleichermaßen war er Mann und Frau. Osho war für mich, in der positiven, genuinen Bedeutung dieses Wortes, eine Vaterfigur. Er war der erste Mann, von dem ich etwas annehmen konnte. Was für ein Geschenk! Und dann war da noch mein leiblicher Vater. Von ihm konnte ich früher nicht viel annehmen. Mir fehlte der Respekt und er war nie richtig präsent. Würde ich also jetzt die Vater-Sohn-Geschichte umschreiben können? Würde ich das zerbrechliche Wesen in meinen Armen ungewollt verletzen? Würden mir Einsichten aus Primärtherapie und Men’s Liberation Gruppen, und Path of Love beim Vatersein wirklich weiterhelfen? Würde ich mich von vorsintflutlichen Vaterrollen befreien können?


Die Erschaffung des Papas

Und wann hatte eigentlich das Trauerspiel zwischen Vätern und Söhnen begonnen? Vor sehr, sehr langer Zeit! Genauer gesagt in der Jungsteinzeit, vor etwa 12.000 Jahren, im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, der östlichen Türkei. Dort war die Vaterschaft vermutlich zuerst entdeckt worden. Dieses Aha-Erlebnis muss für die Menschheit ebenso umwälzend gewesen sein, wie die Entdeckung des Feuers. In dieser Epoche der Menschheitsgeschichte begann der Übergang von der Jägerkultur zu einer mehr sesshaften Kultur, mit Ackerbau und Viehhaltung. Bis dahin war das Verhältnis zwischen Sexualakt und Kindesgeburt unklar, wegen der langen Zeitspanne zwischen Empfängnis und Geburt. Die Fähigkeit sich fortzupflanzen wurde damit allein der Frau zugeschrieben, und aus dem Grunde hatte sie eine führende Rolle in der Gesellschaft. Männer gingen jagen. Doch eines Tages entdeckte Mann, dass die Kuh im Gehege ohne den Bullen keine Kälber gebar. Und daraus wurde abgeleitet, dass dies auch für den Menschen gelten musste. Wow, Papa war erschaffen! Mann hatte seine Schöpfereigenschaft entdeckt. Mann begann sich von der frustrierenden Unterwerfung unter die Schöpferin zu befreien. Mann erschuf eine patriarchalische Gesellschaft. Mann erhob Anspruch auf die von ihm „erschaffenen“ Kinder. Mann verbot jegliche Sexualität, die nicht die Befruchtung der Frau zum Ziel hatte. Mann entsann die Idee von Privateigentum. Mann entdeckte die Notwendigkeit mit bewaffneten Konflikten sein Eigentum zu verteidigen.


In der Mythologie und Göttergeschichte sieht es noch schlimmer aus. Kronos, Vater von Zeus, Sohn von Gaia und Uranos, entmannt auf Gaias Rat seinen Vater mit einer Sichel und wirft das Glied ins Meer. Durch die Entmannung seines Vaters wird er selbst zum Herrscher der Götter. Dann später verschlingt Kronos seine eigenen Kinder, aus Angst, dass sie Anspruch auf seinen Thron stellen könnten. Und Zeus bringt später seinen Vater Kronos um. Von Uranos bis Ödipus ist die griechische Mythologie voll von mordenden Vätern und Söhnen. Und der liebe Gott lässt seinen Sohn am Kreuz hängen. Also, ich wäre da wie der Blitz vom Himmel geschossen. Gott ist wirklich ein armseliges Vorbild für Väter.


Kulturelle Erblasten


Die kollektive Geschichte klopfte vehement an meine Tür und machte mir den Entschluss, Vater zu werden, unendlich schwer. Mein Vater hatte, als er nur zehn Jahre alt war, seinen Vater verloren, wie auch Millionen deutscher Söhne, die ihre Väter im Krieg verloren hatten, gefolgt von einer Generation Nachkriegsväter, welche während dem Wirtschaftswunder ihre Söhne vernachlässigten. Damit fehlen in Deutschland ganzen Generationen die Väter!


Nicht nur die kulturelle Erblast machte mir die Entscheidung schwer. Schlimmer noch war der innere Sannyas-Priester. Es war ein kleiner Skandal, als ich 1996 im Ashram in Poona mit einer schönen schwangeren Schwedin auftauchte. In der Funktion eines Faculty Directors der Multiversity wurde von mir Linientreue erwartet. Swamis machen keine Kinder! Ich war völlig zerrissen und fühlte mich wie ein Sünder. Ich wurde aufgefordert, dem Inner Circle eine schriftliche Erklärung abzugeben, wie ich mir das Ganze vorstelle. Das wusste ich auch nicht. Ich kannte damals keine Vater-Swamis, mit denen ich hätte reden können. Der Babyboom im Kölner Buddhafield kam erst Jahre später. Ich wusste nicht einmal, ob ich fähig sein würde, die Verantwortung zu übernehmen, auf Grund meines Lebensstils und einer Welt, welche vor dem Abgrund stand. Die jungsteinzeitlichen Patriarchen waren inzwischen in die Wallstreet umgezogen und trampelten verächtlich auf Mutter Erdes Angesicht herum. Doch gleich wie viel Zweifel und Bedenken ich auch hatte, ich wollte mein noch ungeborenes Kind nicht ohne Vater aufwachsen lassen.


 Aber braucht ein Kind wirklich seinen Vater?


Ja, unbedingt. Heute ist wissenschaftlich längst nachgewiesen, dass Kinder, bei denen der Vater in der Erziehung engagiert war, einfühlsamer sind, selbstbewusster und intelligenter, als Kinder, bei denen die Väter nicht präsent waren. Der Kölner Jugendpsychiater Horst Petri schreibt in seinem Buch

„Das Drama der Vaterentbehrung“, dass 63 Prozent der jugendlichen Selbstmörder, 90 Prozent der Ausreißer, 85 Prozent der Jungkriminellen und 75 Prozent der Drogenabhängigen aus vaterlosen Familien stammen. Der Vater ist das erste Vorbild, welches dem Sohn hilft, ein Rollenverständnis zu entwickeln. Der Vater hilft dem Sohn, sich aus der Symbiose mit der Mutter zu lösen. Söhne bevorzugen den Vater als Spielkameraden, weil er die wilderen Spiele spielt.


Auch die deutsche Familienministerin sagte in ihrem Interview mit der ZEIT: „Jungen haben ein natürliches Bedürfnis, ihre körperlichen Kräfte zu messen, also zu toben und zu kämpfen. Nicht jede Rauferei muss man deshalb gleich mit einem Streitschlichter unterbinden.“


So ist es dann wohl meinem Sohn im schwedischen Kindergarten ergangen. Als er nur sieben Jahre alt war, sagte er über seine ehemalige Kindergärtnerin: „Fröken Marianne mag keine Jungs.“ Ich glaube, er hatte recht in dem Sinne, dass sie Jungs nicht richtig verstehen konnte und er das gespürt hat. Nur drei Prozent der Erzieher in deutschen Kindergärten sind Männer.


Sich unverstanden fühlen schafft Verun- sicherung. Verunsicherte junge Männer blasen später ihr Ego auf. Wenn’s richtig schiefgeht, dann landen sie im Machokult der neonazistischen Szene, erschlagen jemanden im Suff oder schlagen ihre Frauen.


Vatersein braucht Zeit


„Neue Männer – muss das sein?“ Das war der Titel eines Kongresses, auf dem Professor M. Franz von der Uniklinik in Düsseldorf berichtete, dass Männer inzwischen die Bildungsverlierer seien. Ihre Gesundheit ist schlechter als die der Frauen, ihre Lebenserwartung im Schnitt fünf Jahre kürzer und die Selbstmordrate dreimal so hoch. Der amerikanische Direktor für „Nationale Mentale Gesundheit“ (viel Glück?!), ging sogar so weit, von einer Junge-Männer-Selbstmord-Epidemie zu sprechen. Das Problem haben mittlerweile auch die Politiker erkannt. Kristina Schröder, die Familienministerin, sagt weiter in ihrem Interview in der ZEIT: „Richtig ist …, dass diese Regierung erstmals ausdrücklich eine Jungen- und Männerpolitik betreiben wird. “ Soll ihre Regierung doch bitte erst das Arbeitsleben entschleunigen und humanisieren, damit Väter für ihre Söhne auch Zeit haben.


Ich hatte das Glück, dass ich damals arbeitslos war und somit sehr viel freie Zeit hatte. Es braucht viel Zeit. Vaterwerden ist sehr komplex. Trotz aller guten Vorsätze war ich völlig überfordert und unvorbereitet. Für die Mutter wird die Präsenz des Kindes während der Schwangerschaft nach und nach eine Realität. Es ist eine physisch erlebte Erfahrung. Sie spürt, wie sich ihr Baby im Bauch bewegt, und hat neun Monate Zeit, um den Schritt von der Frau zur Mutter zu machen. Der Vater bleibt emotional meist außen vor. Er muss sich den Vaterstatus in seiner Fantasie vorstellen oder versuchen, sich in ein Ultraschallbild zu verlieben.


Vor der Geburt bleibt Vaterschaft maßgeblich nur ein mentales Konzept. Nach der Geburt ist es eine absolute Herausforderung. Schlaflosigkeit, Verantwortungsangst, Unzulänglichkeitsgefühle. Dann rutschen die Bedürfnisse des Vaters auf Platz drei der Prioritätenliste. Und als wenn dem nicht schon genug wäre, so sinkt auch noch der Testosteronspiegel nach der Geburt um durchschnittlich ein Drittel. Das alleine würde schon ausreichen, um die meisten Männer in eine massive Midlife-Crisis zu stürzen.


Männer, wacht auf!


Das erste Jahr wohnten wir in einer Osho Kommune, mit Gemeinschaftsküche, großer Sauna und eigener Disco im Keller. Wir hatten eine gute Zeit. Doch dann machten wir einen Fehler. Wir zogen zu dritt aufs Land. Osho hat recht, die traditionelle Kernfamilie ist eine Katastrophe. Jedenfalls war es eine für mich. Wir trennten uns. Und in den folgenden Jahren durchlief ich sämtliche modernen Vaterrollen: Vater mit partnerschaftlicher Arbeitsteilung, Patchworkfamilienvater, Teilzeitvater und sozialer Vater mit insgesamt vier Kindern, die alle, bis auf meinen eigenen Sohn, ihren leiblichen Vater noch nie oder nur sehr selten gesehen hatten.


Sudhir und sein Sohn: „Habe ich Fehler gemacht? Massenweise. Er ist jetzt 26, ein dufter Typ und wir reden über fast alles.“


Habe ich Fehler gemacht? Massenweise. Habe ich das zerbrechliche Wesen in meinen Armen verletzt? Ich habe ihn gestern auf Skype gefragt, ob er damals traurig war, als ich mich von seiner Mutter trennte. Er meinte: „Ne, wegen der Trennung war ich nicht traurig, aber weil du damals oft ärgerlich wurdest und ich nicht verstand warum. Außerdem bist du manchmal einfach peinlich!“ Er ist jetzt 16 (heute 26), ein dufter Typ und wir reden über fast alles.


Die Vater-Sohn-Beziehung ist keine Einbahnstraße. Ich habe auch viel von ihm gelernt! Ich werde nie vergessen, wie er und ich eines morgens alleine beim Frühstück saßen. Er war drei Jahre alt und ich hatte mich gerade erst von seiner Mutter getrennt. Tief innen war ich verzweifelt. Griesgrämig und in meinen eigenen Gedanken verloren saß ich schweigsam am Tisch. Nach ein paar Minuten schaute er mir direkt in die Augen und rief laut: SLUTA (schwedisch für: Hör auf!) Mein Trip war augenblicklich beendet und wir zogen gemeinsam aus, auf Abenteuer in den großen Wald hinter unserem Häuschen. Danke kleiner Buddha!


Kinder sind klasse. Karrieren sind vergleichsweise oft inhaltsleer. Mensch Männer, wacht auf! Vergeudet nicht euer Leben an seelenlose Unternehmen! Raus aus der 12.000 Jahre alten patriarchalischen Unterdrückung, die uns alle, Mann, Frau und Kinder, gleichermaßen tyrannisiert. Und der ganze Quatsch von „Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus“. Wir alle leben hier auf Mutter Erde. Uns ist die Achtung für sie und das weibliche Prinzip in uns verloren gegangen. „Der Traditionelle Mann ist eine vom Aussterben bedrohte Art", stand 2010 auf der Titelseite des News Week Magazins. Endlich!!! Die Zeit ist reif für den transzendentalen Mann, Vater, Mensch.


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