Lernen mit der Angst besser unzugehen.
Oshotimes Artikel, Sudhir Seyboth, Path of Love Deutschland

Warum fremdeln Kinder und fremdenfeindliche Rechte?
Aus demselben Grund, und dieser ist so alt wie die Menschheit. Im Kern der Fremdenfeindlichkeit sitzt die Angst. Wenn wir Brücken statt Mauern bauen wollen, dann müssen wir die Angst besser kennen lernen. Was macht uns Angst? Was ist der evolutionsgeschichtliche Hintergrund der Angst? Und wie können wir unsere Ängste überwinden?
Als ich in Schweden wohnte, arbeitete ich im „Rosengarten“ in Malmö. Die Hausverwaltung hatte eine Mitarbeiteruntersuchung bestellt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. „Rosengård“ ist ein Ausländergetto!
Mir war mulmig zumute auf dem Weg zu meinem ersten Interview. Die Schaufenster des Supermarkts waren alle vergittert, die Frauen auf dem Marktplatz verschleiert und „muslimische“ Männer, die in Cliquen „rumlungerten“, schauten mich schräg an. Jedenfalls kam es mir damals so vor.
Tatsächlich sind 85 % der Bewohner Einwanderer aus 111 verschiedenen Ländern. In einer dortigen Schule mit 1000 Schülern gibt es nur zwei Schweden. Auf Schwedisch hat sonst keiner Bock, was erklärt, warum der Unterricht oft nur mit Dolmetschern möglich ist.
Schon im ersten Interview wurde mir klar, die Hausverwalter hatten Angst vor ihren Mietern und so gingen Hausmeister und Handwerker immer nur zu zweit auf Streife ins „Sperrgebiet“. Der von Banden und islamisten kontrollierte Stadtteil war tatsächlich für Briefträger offiziell zum Sperrgebiet erklärt worden. Zu gefährlich!
Es war nie nötig gewesen Mauern um den Rosengarten zu bauen. Die Abgrenzung funktioniert auch so, weil unsere Köpfe zugemauert sind mit Xenophobie, der uralten Angst vor dem Fremden.
Die Evolutionsgeschichte der Angst und warum wir fremdeln
Wir fürchten, was wir nicht wissen. Fremdeln ist normal, zumindest bei Kindern im Alter von etwa acht Monaten. Fremdeln ist ein wichtiger Entwicklungsschritt. Es zeigt, dass das Kind eine tiefere Bindung zu seinen Eltern aufgebaut hat und es gelernt hat, seine Eltern von anderen Menschen deutlich zu unterscheiden. In der Nähe der Bezugsperson fühlt sich das Kind sicher, aber wer anders ist, der macht Angst.
Dass wir Angst empfinden können, ist genetisch festgelegt. Forscher fanden das Gen Stathmin, welches die Angst steuert. Laborstudien zeigten beispielsweise, dass Mäuse, denen dieses Gen fehlte, echte Draufgänger waren. Doch deren Lebenserwartung war leider zu kurz, um ihre furchtlosen Gene weitervererben zu können. Die Ängstlichen dagegen überlebten, weil Angst ein evolutionsgeschichtlich wichtiger Schutzmechanismus ist, der darauf ausgelegt ist, uns vor Gefahren und Bedrohungen zu warnen. Ohne Angst wäre die Menschheit schon längst untergegangen. Doch am Anfang des 21. Jahrhunderts sind wir auf dem besten Weg, grade wegen dieser Angst unterzugehen. Was läuft schief? Hat die Evolution etwas übersehen?
Wir müssen die Angst besser kennen lernen
Die Evolution hat uns mit zwei Polen für die innere emotionale „Bewegung“ ausgerüstet, positive und negative E-Motionen: Liebe und Angst, Vertrauen und Furcht, Öffnung und Abgrenzung. Die positive E-Motion bewirkt die Öffnung zur Welt und die negative Bewegung erzeugt Enge. Im lateinischen bedeutet Enge „Angustus“, gleich Angst.
Wenn Adrenalin, das Enge und Ärger Hormon, durch unsere Adern strömt, dann meiden wir andere Personen oder Dinge. Wir werden engstirnig, vermeiden das Unbekannte und greifen auf ein sehr begrenztes Verhaltensrepertoire zurück: Flucht oder Angriff, Erstarrung oder Drohung, Angst oder Ärger. Wir grenzen uns ab, wie ängstliche Kinder, die sich verstecken, bis sie sich wieder sicher fühlen. Dann fließt wieder Serotonin durch unsere Adern, welches positive Emotionen fördert. Wir öffnen uns, erweitern unseren Horizont, erforschen und lernen. Wenn Kinder positive Emotionen spüren, dann suchen sie den Kontakt, werden neugierig, spielen und beginnen, das Unbekannte zu erkunden.
Angst existiert, um zu verhindern, dass wir von echten Gefahren verletzt werden. Angst ist wie alle anderen Emotionen im Grunde nur Information. Angst bietet uns Erfahrungswerte, um die richtige Entscheidung für unser Überleben zu treffen. Angst sollte unser Diener sein. Aber wir lassen die Angst zu unserem Meister werden.
Meine Angst vor Asylanten

Warum hatte ich eigentlich Angst vor den Asylanten im Rosengarten? Hatte mich jemand bedroht? Nein. Doch in meinem Kopf verknüpften sich die aktuellen Bilder der jungen Männer auf dem Marktplatz mit meinen Erinnerungsbildern aus der Vergangenheit. Adrenalin befeuerte Bildergeschichten: Flugzeuge, die in Wolkenkratzer rasen. Taliban die Frauen steinigen. Terror auf Weihnachtsmärkten. ISIS Kämpfer, die Nicht-Gläubige enthaupten. 130 Unschuldige, die beim Konzertbesuch hingerichtet werden. Diese Horror Szenen, vor meinem inneren Auge bewirken, dass der Adrenalinpegel um das zwei bis achtfache ansteigt. Rein körperlich empfinden wir also unser Kopfkino fast so, als wären wir mitten drin in der Gefahrensituation. Die kognitive Neurowissenschaft beschreibt unsere Wahrnehmung als einen Prozess, bei dem gegenwärtige Sinneseindrücke mit vergangenen Vorstellungen und Vorurteilen kombiniert werden. Das nennt sich dann in der Fachsprache “eine kontrollierte Halluzination”. Das passt! Im Rosengarten in Malmö war ich am halluzinieren und mitten drin in meiner Mediathek islamfeindlicher Bildergeschichten.
Emotionen sind keine guten Ratgeber für die Zukunft.
Emotionen sind unser “History Channel”. Sie erzählen Geschichten aus der Vergangenheit, was wir damals gelernt haben, vor langer langer Zeit, um Schmerz, Ablehnung, Trennung oder Einsamkeit zu vermeiden. Wir haben gelernt uns nicht mehr zu verbrennen. Wegen dem Schmerz damals, als der Kinderfinger die heiße Herdplatte berührte, haben wir etwas gelernt. Ohne Schmerz wäre diese Lernerfahrungen nicht ins Langzeitgedächtnis kopiert worden. Wenn wir also heute Angst haben, uns in einer Liebesbeziehung wirklich zu öffnen, dann kommt dieses Gefühl aus unserer Erinnerung, wo wir uns, vielleicht vor langer Zeit, die Finger verbrannt haben. Emotionen sind Erinnerungen, autobiographische wie auch genetische.